22.03.2019 Hochschule

Rezession oder nicht?

Ein Kommentar von Prof. Dr. Thomas Straubhaar. Die gute Nachricht vorneweg: Deutschland ist gerade noch an einer Rezession vorbeigeschrammt - wenn auch nur haarscharf. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal 2018 leicht schrumpfte, was Rezessionsängste auslöste, sorgte das Statistische Bundesamt zu Jahresbeginn 2019 für Entwarnung.

Rezession oder nicht?

Ein Kommentar von Prof. Dr. Thomas Straubhaar. Die gute Nachricht vorneweg: Deutschland ist gerade noch an einer Rezession vorbeigeschrammt - wenn auch nur haarscharf. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal 2018 leicht schrumpfte, was Rezessionsängste auslöste, sorgte das Statistische Bundesamt zu Jahresbeginn 2019 für Entwarnung. Nach ersten "sehr vorsichtigen Schätzungen" sind für das vierte Quartal 2018 Anzeichen einer leichten Erholung gegenüber den Vorquartal erkennbar. Entsprechend geht das Statistische Bundesamt "von einem kleinen Plus aus" (wie hoch genau das Plus war, hat das Statistische Bundesamt am 14. Februar 2019 bekannt gegeben). Damit sind die Rezessionsgefahren (vorerst) gebannt: Das BIP wird nicht in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen schrumpfen.

Die schlechte Nachricht jedoch lautet, dass die Bedeutung der BIP-Quartalsdaten als makroökonomischer Indikator mittlerweile maßlos überschätzt wird. Wäre für das letzte Quartal 2018 statt eines "kleinen Plus" ein "kleines Minus" zu erwarten gewesen, hätte das "Rezession" bedeutet. Dann wäre die allgemeine Stimmung in Politik und Wirtschaft, Gesellschaft und Öffentlichkeit in den Keller gerauscht. Verbraucher beim Einkaufen, Firmen bei Einstellungen, (institutionelle) Anleger und viele andere hätten ihre Ausgaben und Investitionen, Umsätze und Erwartungen für 2019 nach unten revidiert. Die Dramatik dabei: Negative Vorzeichen für die Wirtschaftsentwicklung der Vergangenheit können sehr schnell eine sich selbst verstärkende Eigendynamik anschieben, die zu einer Verstärkung rezessiver Konjunkturkräfte in der Zukunft führt.

Obwohl ein "kleines Plus" (von +0,1 %) und ein"kleines Minus" (von -0,1 %) nur durch eine klitzekleine statistische Differenz (von 0,2 %) getrennt sind, unterscheiden sie und ihre Folgen sich in dramatischer Weise. Ein "leichtes Plus" verursacht gute Laune - gerade auf den Finanzmärkten - und sorgt eher für ein positives Konsumklima. Ein "leichtes Minus" ist ein Stimmungskiller mit dem Hang zu einer sich selbst erfüllenden Rezessionsvoraussage. Dabei liegt zwischen Optimismus und Pessimismus, zwischen Beruhigung und Verunsicherung lediglich eine minimale statistische Abweichung, die um ein Mehrfaches geringer ist als die weit gewichtigeren Messfehler, die der Ermittlung des BIP zugrunde liegen.

Wie das Statistische Bundesamt auch bekannt gab, lag allein schon die Korrektur zwischen erster (vorläufiger) und endgültiger Veröffentlichung der (jährlichen) BIP-Daten in den letzten beiden Dekaden bei durchschnittlich 0,4 % (bei absoluten Abweichungen ohne Berücksichtigung der Vorzeichen).

"Investoren sind gut beraten, wenn sie sich durch die kurzfristigen Schwankungen von Börsenindizes nicht ins Bockshorn jagen lassen."

Die öffentliche Aufregung darüber, ob jetzt die BIP-Quartalsdaten um 0,1 % höher oder tiefer als im Vorquartal lagen, wird den tatsächlichen Verhältnissen somit in keiner Weise gerecht. Fakt ist, dass das Wachstum an Schwung verloren hat. Aber selbst pessimistische Konjunkturprognosen für 2019 liegen noch ganz weit weg von einer Rezession, dafür aber ganz nahe am sogenannten Potentialwachstum von 1,5 %, das wiedergibt, wie schnell eine Wirtschaft wachsen sollte, wenn gerade alle verfügbaren Kapazitäten in der Produktion voll ausgelastet sind. Das sollte eigentlich allen Rezessionsängsten die Grundlage entziehen. Völlig losgelöst davon, ob jetzt die BIP-Quartalsdaten leicht im Plus oder leicht im Minus liegen.

Gerade langfristig orientierte institutionelle Anleger wären somit gut beraten, sich nicht durch die kurzfristigen Schwankungen von Börsenindizes ins Bockshorn jagen zu lassen. Die reale Wirtschaft dürfte sich 2019 zwar nicht so dynamisch wie in jüngerer Vergangenheit, aber dennoch durchaus positiv entwickeln.

 

Der Artikel basiert auf Ergebnissen eines von der NORDAKADEMIE-Stiftung finanzierten Forschungsprojekts: "Neuvermessung der Weltwirtschaft: Wie verändert die Digitalisierung die Messung der Wertschöpfung?"