13.02.2020 Hochschule

Wie sieht die Zukunft des persönlichen Verkaufs aus?

Digitalisierung im Vertrieb wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil, heißt es. Was folgt daraus aber für den persönlichen Verkauf und wie sieht der Vertrieb der Zukunft aus? Ein kurzes Interview mit Vertriebsprofi und NORDAKADEMIE Vorstand Lars Binckebanck.

Was bedeutet Vertrieb für Sie?

Für mich ist Vertrieb ein Herzensanliegen. Ich habe lange genug in der Praxis gearbeitet um zu wissen, wie wichtig der Vertrieb und insbesondere der persönliche Verkauf für viele Unternehmen ist, gerade auch im Industriegüterbereich. Andererseits stelle ich als Wissenschaftler mit großem Bedauern fest, dass Vertrieb in der Hochschullehre und in der akademischen Forschung seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wird. Ich habe es daher zu meiner Mission gemacht, die Verzahnung zwischen Theorie und Praxis im Vertrieb zu verbessern.

Wie sieht der Vertrieb der Zukunft aus? Was sind Herausforderungen und Chancen für den persönlichen Verkauf?

Im Zuge der Digitalisierung entstehen immer mehr Vertriebs- und Kommunikationskanäle und damit innovative Möglichkeiten der Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen. Unternehmen sind gut beraten, diese Entwicklungen sehr aufmerksam zu studieren. Ich halte es aber für fatal, wenn Unternehmen hier jedem Trend, jeder App und jedem Buzzword hinterherlaufen und zugunsten temporärer Hypes funktionierende Geschäftsmodelle über Bord werfen. Nicht jede Innovation passt zum Unternehmen und nicht jeder Trend bedeutet gleich die gefürchtete Disruption. Strategie schlägt Technik und Augenmaß ist besser als Atemlosigkeit. Für den Vertrieb bedeutet das, eine Balance zu finden zwischen fundamentalen Erfolgsfaktoren des eigenen Geschäftsmodells und innovativen Möglichkeiten zur Steigerung von interner Effizienz und externer Effektivität. Dabei wird in vielen Fällen der persönliche Verkauf auch weiterhin eine zentrale Rolle für den nachhaltigen Geschäftserfolg spielen. Denn Verkäuferinnen und Verkäufer vermarkten ja nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern sie stellen häufig selber durch die Art und Weise, wie sie mit Kunden interagieren, individuelle Probleme lösen und Vertrauen schaffen, einen eigenständigen Wettbewerbsvorteil dar. In einer immer digitaleren Zeit werden analoge Verkaufstugenden auch zukünftig den Unterschied ausmachen. Denn am Ende leben wir alle als Menschen in einer analogen Welt.

 

Sie sprechen in Ihren Publikationen von einem Digital Talent Gap. Was ist das und wo liegt das Problem?

Die zunehmende Komplexität überfordert immer öfter Mitarbeiter wie auch Führungskräfte. Derzeit laufen in Unternehmen parallel zwei Prozesse mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab, die jedoch von denselben Führungskräften verantwortet werden: Einerseits muss weiterhin Geld verdient werden, und zwar zumeist noch immer mit dem bisherigen Geschäft und im gewohnten Tempo. Gleichzeitig jedoch verläuft die Digitalisierung als Change-Prozess mit einer deutlich höheren Geschwindigkeit. Er betrifft mit neuen und ungewohnten Arbeitstechniken tendenziell veränderungsresistente Mitarbeiter der Vertriebsorganisation, die häufig einfach gerne nur so weitermachen wollen wie seit Jahrzehnten gewohnt und bewährt. Nur wenn die Mitarbeiter den Change-Prozess mittragen und zur Bewältigung auch befähigt werden, wird die Digitalisierung gelingen. Das erfolgreiche Management paralleler Prozesse, unterschiedlicher Geschwindigkeiten und operativer Veränderungswiderstände durch Führungskräfte als Dreh- und Angelpunkt bei Veränderungsprojekten wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor für die digitale Transformation von Vertriebsorganisationen. Es braucht demnach eine neue Form von Führung, die bewährte Führungskonzepte mit den neuen Werten und Erfolgsmodellen aus der digitalen Welt zu kombinieren in der Lage ist – also Digital Leadership.


Auswahl von Publikationen zum Thema

Binckebanck, L. (2019): Die digitale Transformation zielgerichtet managen, in: Sales Excellence, Jg. 28, Nr. 3, S. 10-15.
Binckebanck, L. (2018): Stresstest für das Verkaufsmanagement, in: acquisa, Jg. 65, Nr. 2, S. 70-77.
Binckebanck, L. (2017): Digital Sales Leadership, in: Marketing Review St. Gallen, Jg. 34, Nr. 4, S. 94-103.
Binckebanck, L. (2016): Digitalisierung – Raus aus der Trendfalle!, in: Verkaufen, Jg. 7, Nr. 2, S. 10-15.
Binckebanck, L. (2015): Digital Sales Excellence – Systematischer Einsatz neuer Technologien im Vertrieb, in: Marketing Review St. Gallen, Jg. 32, Nr. 6, S. 44-52.
Binckebanck, L.; Elste, R. (Hrsg., 2016): Digitalisierung im Vertrieb, Wiesbaden.
Binckebanck, L.; Hölter, A.-K.; Tiffert, A. (Hrsg., 2020): Führung von Vertriebsorganisationen, 2. Auflage, Wiesbaden (im Druck).
Elste, R.; Binckebanck, L. (2017): Wandel im Vertrieb durch Digitalisierung – worauf es morgen ankommt, in: Hildebrandt, A.; Landhäußer, W. (Hrsg.), CSR und Digitalisierung, Wiesbaden, S. 909-926.