19.03.2020 Sonstiges

„Liquidity first“ – Existenzsicherung in Zeiten von Corona

Ein Beitrag vom Experten für betriebliche Finanzwirtschaft, Prof. Dr. Jörg Richard.

Updated: 27.04.2020

Vor kurzem noch erfreute sich Liquidität einer vergleichsweise geringen Wertschätzung, da diese für Unternehmen nicht nur Opportunitätskosten, sondern in Zeiten von Negativ-Zinsen sogar eine reale Kostenbelastung darstellen konnte. Zudem war das „Gut“ Liquidität für die meisten Unternehmen quasi unbegrenzt und im Überfluss vorhanden bzw. im Bedarfsfall „billig“ zu beschaffen. Die allgemeine wirtschaftliche Situation war zudem für die weit überwiegende Mehrheit der Unternehmen positiv, was die Liquidität ebenfalls in der Priorität nicht nach oben rücken ließ.

Dieses hat sich als Nebenwirkung des Corona-Virus massiv geändert. Konkrete Aussagen über Liquiditätseffekte bei Unternehmen lassen sich zwar grundsätzlich nur individuell treffen, aber: Es reicht (leider) schon eine kleine Modellrechnung um tendenziell zu zeigen, welche starken Herausforderungen auf der Liquiditätsseite entstanden sind, entstehen und sich bis zu einem Zustand der „alten“ Normalität fortsetzen werden:

In diesem stark vereinfachten Fallbeispiel wird ersichtlich, wie signifikant Unternehmen durch die indirekten Auswirkungen des Virus in ihrer Liquidität getroffen werden können. Es entsteht eine Schere aus i.d.R. unvollständig reduzierbaren Cash-Verpflichtungen und stark zurückgehenden Cash-Eingängen, insbesondere aus fehlenden Umsätzen.

Insgesamt fehlen in dem gewählten Szenario von 30 Mio. Umsatz rund 3 Mio. in Kasse bzw. Bank. Anders formuliert: 4,5 Mio. € Umsatzrückgang schlagen unter den getroffenen Annahmen massiv durch und führen zu 3 Mio Cash-Reduzierung. Es besteht wegen dem resultierenden negativen Cash-Saldo akuter Handlungsbedarf für das betrachtete Unternehmen.

Verschärfend kommt hinzu, dass die gewählten Modell-Annahmen bzgl. der Rückgänge für viele Unternehmen noch eher als moderat einzuschätzen sind, mit „nur“ 15% Umsatzrückgang, „nur“ 2 % Zahlungsausfall (bei einer Verlängerung der Zahlungsziele um bis zu 19 Tage). 

 

# Abwarten ist keine Option

Die Konsequenzen mangelnder Liquidität sind bekanntermaßen existentiell. Die Regelungen des Insolvenzrechtes zur Anmeldung einer Insolvenz sind ebenso klar, wenn man nicht in persönliche Haftung kommen will. Die jetzt getroffenen Sonderregelungen gelten zunächst einmal bis September und ändern die Situation damit nur temporär.

 

Für Unternehmen besteht zum Ausgleich fehlender Umsätze die Notwendigkeit zusätzliche Cash Inflows zu generieren, z.B. durch neu aufzunehmende Bank- bzw. KfW-Kredite, Eingänge durch staatliche „Helikopterzahlungen“ (KMUs), neue Umsatzquellen etc. Daneben wird der Cash-Outflow reduziert: Die Geschwindigkeit hängt allerdings von den geschlossenen Verträgen ab. Materialaufwendungen etc. werden (außerhalb von Rahmenverträgen) oft relativ kurzfristig an die Marktlage anpassbar sein. Wegen der neuen Unsicherheiten in den Lieferketten vermutlich aber weniger als erhofft. Hinzu kommen freiwillige oder unfreiwillige Zahlungszielverlängerungen auf der Kreditorenseite, Zahlungsreduzierungen etc. Mit dem Instrument Kurzarbeitergeld werden die zahlungswirksamen Personalaufwendungen reduzierbar. Entlassungen sind in einer „eigentlich“ durch Fachkräftemangel geprägten Umgebung noch ein ambivalentes Thema. Bekommt man heute entlassene Fachkräfte in z.B. drei oder neun Monaten (und zu welchem Gehalt) wieder, wenn diese eine negative Erfahrung mit „ihrem“ Unternehmen gemacht haben?

 

Unabhängig von den hier beispielhaft gewählten Modellwerten muss sich jedes Unternehmen mit seinen EIGENEN, realen Liquiditäts-„Hebeln“, deren Stärke sowie insbesondere auch deren Dynamik auseinandersetzen. Dieses ist jetzt ein zeitkritisches Dauerthema und hätte bereits vor zwei Monaten beginnen können bzw. müssen.

 

Szenariorechnungen bzgl. der Liquidität mit kurzfristigen Anpassungen sind ein nicht ganz so neues „Muss“ in der jetzigen Krisenzeit.